Mitglied des Landtages

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Am Havelblick 8

14473 Potsdam

                                                                                                                      Langewahl, 12.12.2004

Sehr geehrtes Mitglied des Landtages,

Sie wollen, so habe ich es in den letzten Tagen der Presse entnommen, das Schulgesetz ändern und eine „Oberschule“ einführen. Das ist Ihr formelles Recht. Sie sind (in Ihrer Mehrheit) der Gesetzgeber.

Es gab in den letzten Tagen aber auch Erklärungen, Deutungen und Ministerinterviews, die eine Katastrophe andeuten. Sie wollen Gutes und ein – wahrscheinlich noch unerfahrener Minister – sagt Ihnen, mit der Oberschule wird alles gut.

Die bildungspolitischen Sprecher der Fraktionen haben ein gutes Gewissen, weil Sie dem Minister noch die Formulierung abgetrotzt haben, dass an Oberschulen wenigstens individuell „vertiefte allgemeine Bildung“ vermittelt werden darf (wohl in dieser positiven Stimmung nahm der Vertreter des Landtags im Landesschulbeirat (LSB) schon nicht mehr an der Aussprache des LSB am  04.12.2004 teil).

Da tiefgehende bildungspolitische Diskussionen und Vorträge im LSB und auch beispielsweise bei der Anhörung im Bildungsausschuss des Landtages bisher – so mein Eindruck - eher als lästig empfunden wurden, verzichte ich nachfolgend auf eine umfassende Argumentation (z.B. über PISA 1 und 2) und auf die vollständige Darlegung der Ablehnungsgründe des Schulstrukturgesetzes.

Ich möchte an dieser Stelle nur klarstellen, dass Sie sich hinterher bitte nicht mit dem Argument, diese Folgen Ihrer Zustimmung zur Schulgesetznovelle bzw. zum Schulstrukturgesetz waren nicht absehbar, rechtfertigen mögen. Das Abstimmungsverhalten im Landtag werde ich sehr genau verfolgen.

Das MBJS argumentiert u. a.,  dass man die Oberschule braucht, weil die Schülerzahlen zurückgehen. Aber: Mit diesem Schulstrukturgesetz werden die Strukturen nicht gestrafft, sondern eine Strukturerweiterung vorgenommen! Die Schülerinnen, Schüler und Eltern, die nicht das Gymnasium anwählen wollen, sehen sich jetzt zusätzlich mit der „Hauptschulklasse“ konfrontiert. Weiterhin wissen Eltern noch weniger als in den letzten Jahren, wie ihre Kinder wirklich beschult werden. Die Entscheidung einer Schulkonferenz über die Unterrichtsorganisation nach § 91 Abs. 2 BbgSchulG muss das Wahlverhalten der Eltern bekanntlich nicht berücksichtigen.

Das MBJS argumentiert weiterhin, Gesamtschulen ohne GOST waren in den letzen Jahren nur noch Hauptschulen. Solche Analysen einer Behörde sind schmerzlich. Sie sind auch falsch. In meiner langjährigen Heimatstadt Fürstenwalde, dort bin ich derzeit auch Mitglied einer Schulkonferenz, gab  es keine Gesamtschule mit GOST, sondern drei „gleichberechtigte“ Gesamtschulen, die gemeinsame GOST wurde am OSZ eingerichtet. Das war in den 90er Jahren nach längerer (anfangs auch kontroverser) Diskussion in großer Übereinstimmung zwischen SVV, Stadtverwaltung, MBJS und Mitwirkungsgremien so vereinbart worden. Es war ein guter Kompromiss. Es gab vielen Kindern der Stadt Fürstenwalde (und deren Umgebung) die Chance, auch über die Gesamtschule den Weg zum Abitur zu finden (über Entwicklungsunterschiede Jungen-Mädchen, über „Spätstarter“ und Durchlässigkeit, über Vorteile heterogener Lerngruppen informiere ich Sie gern persönlich).

Das MBJS vermittelt derzeit der Öffentlichkeit den Eindruck, als ob die Oberschule die Summe von Realschule und Gesamtschule ist. Die Wirklichkeit aber ist:  Das Schulstrukturgesetz führt nicht Gesamtschule und Realschule zusammen, sondern schafft ein wesentliches Merkmal der Gesamtschule ab und vereinigt den Rest mit der Realschule.

Unter Frau Birthler und Frau Peter gab es stets breite Diskussionen bei Schulgesetzänderungen. Herr Reiche war wenigstens formell für Elternmeinungen dankbar und hat diese ernsthaft entgegengenommen (allerdings selten berücksichtigt). Jetzt sind Elternmeinungen nicht mehr erwünscht und zeitlich nicht möglich.

Geben Sie einer umfassenden Diskussion über neue Schulstrukturen im Land Brandenburg die Chance. Stimmen Sie nicht für das vorliegende „Schulstrukturgesetz“.

Mit freundlichen Grüßen

 

Bernd Stiller