Landesrat der Eltern

in Brandenburg

 

 

Stellungnahme zur Schulgesetznovelle

im Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport am 18.11.2004

 

 

 

 

 

Die Reform des brandenburgischen Bildungswesens ist überfällig, das wissen die an Bildung in erster Reihe beteiligten Schüler und deren Eltern schon lange, spätestens jedoch seit Pisa und all den anderen wissenschaftlichen, internationalen Studien, die dem Brandenburger System in den letzten Jahren katastrophale Ergebnisse bescheinigt haben.

 

Dazu kommt in Brandenburg der Rückgang der Schülerzahlen – die Notwendigkeit, hier eine Struktur zu finden, die für alle Schüler erreichbare Bildungsgänge vorhält, ist unumstritten.

 

Eine Schulgesetznovelle darf sich nicht ausschließlich mit Strukturfragen befassen.

Einer Schulgesetznovelle muss natürlich auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Zielen und Konzepten vorausgegangen sein. Und sie muss eine Qualitätssteigerung bedeuten für unser Bildungswesen, eine Chance für positive Veränderungen.

 

Die Schulgesetznovelle, die jetzt in den Landtag eingebracht wurde, lässt Beides vermissen: weder fand eine inhaltliche Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Ideen für die mögliche Umsetzung statt, noch bedeutet die vorgelegte Novelle eine inhaltliche Qualitätssteigerung. Sie ist lediglich eine kurzfristige kosmetische Bereinigung anstehender struktureller Probleme.

Dabei ist die Struktur des Bildungswesens nicht der Wert an sich, sondern nur der institutionelle Rahmen für pädagogisches Handeln.

 

Zwei Problemfelder unseres Bildungswesens wurden in den Studien der letzten Jahre besonders herausgestellt: die mangelnde Durchlässigkeit des Schulsystems und die viel zu frühe Selektion der Kinder auf verschiedene Schulformen in Deutschland.

 

Mit den vorgelegten Gesetzentwurf wird eine Selektion ab der 6. Klasse (bzw. 4. Klasse) festgezurrt. Die Möglichkeiten, Kurse bzw. Bildungsgänge zu wechseln sind auf dem Papier vorhanden, die Realität wird etwas ganz anderes sagen.

 

Anstatt aus den fehlgeleiteten Entwicklungen der letzten Jahre zu lernen, werden sie sogar als Begründung verwendet für die frühere Selektierung: „nachdem bisher kaum Schüler nach dem Besuch einer Gesamtschule ohne eigene GOST den Weg zur allgemeinen Hochschulreife beschritten haben, brauchen wir diese Form in Zukunft nicht mehr anbieten...“ 

 

- Der richtige Schluss daraus wäre gewesen, sich die Frage zu stellen, wieso unsere Gesamtschulen nicht in der Lage waren, mehr Schüler zur AHR zu führen!

 

Hier wäre der richtige Ansatzpunkt gewesen: die Frage nach benötigten Bildungs- und Erziehungskonzepten muss gestellt werden, nach benötigter Handlungsfreiheit und Flexibilität bei der Organisation des Schulalltages.

Mehr begabungsgerechte Förderung des einzelnen Schülers muss im Mittelpunkt stehen und die Entwicklung heterogener Lerngruppen und differenzierter Vermittlung von Lerninhalten.

 

Statt dessen steckt man die Kinder möglichst früh in Schubladen – einfach, überschaubar – und grundverkehrt, wie spätestens PISA uns gelehrt haben sollte.

 

Die frühe Selektion wird natürlich nicht in einem einschlägigen Paragraphen genannt (nach dem Motto: „§ 1: Ab sofort gibt es für alle Kinder nur noch den vorherbestimmten Bildungsgang  ..“) sondern sie ergibt sich aus der zukünftigen  inneren Organisationsstruktur der Schule.

Der Gang zum Gymnasium wird nach der Oberschule nur noch mit besonderen Leistungen im Realschulbildungsgang möglich sein; dadurch, dass die vertiefte Bildung aus der Oberschule herausgenommen wird,  wird es aber selbst den sehr guten Schülern – vielleicht Spätstartern - doppelt erschwert, danach die GOST zu schaffen.

Insbesondere im kooperativen Modell wird es nicht mehr möglich sein, Kinder individuell zu fördern (höchstens über Förderausschussverfahren für leistungsschwache Kinder in viel zu geringem Umfang).

Es findet kaum Austausch statt zwischen Lehrern verschiedener Bildungsgänge,

für die Schüler fällt der Aspekt des „Kinder lernen von anderen Kindern am besten“ weg, wenn in den Klassen nur noch homogene Lerngruppen gegeben sind.

Also: es wird nicht möglich sein, mathematisch begabten Kindern in diesem Fach eine bessere Förderung zukommen zu lassen und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit einzuräumen, ihre Rechtschreibschwäche in einem grundlegenderen Kurs zu kompensieren - die Folge ist Frustration und Langeweile.
Selbst bei vorhandenen Einzelbegabungen wird dafür gesorgt, dass alle Fächer gleichbehandelt werden - wo sollen die Kinder Vertrauen in ihre Fähigkeiten finden, den Mut, ungewöhnliche Wege zu beschreiten, Kreativität zu entwickeln in ihrer späteren Lebens- und Berufsgestaltung?

Diese Kinder sind aber diejenigen, die in 20 Jahren die Geschicke unseres Landes anfangen zu lenken, die Arbeitsplätze schaffen und erhalten sollen - und Ihre, meine und viele andere Alterversorgungen finanzieren sollen. Wenn wir sie jetzt auf festgelegte Schienen setzen, ihnen die Chancen, die sie hätten, nicht ergreifen lassen, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn sie sich in einigen Jahren unseren Ansprüchen glatt verweigern und einfach weggehen.

 

Die Schulgesetznovelle trennt den Bildungsgang zur allgemeinen Hochschulreife fast komplett ab von der Oberschule, und durch die kooperative Organisationsform auch innerhalb der Oberschule den Bildungsgang der Berufsbildungsreife von dem des mittleren Bildungsabschlusses.

Damit widerspricht die geplante Änderung dem Grundgedanken des Brandenburger Schulgesetzes, nachdem vorrangig integrativ gearbeitet werden soll – also miteinander, nicht nebeneinander.

 

Als Landeselternrat fordern wir ein Schulsystem, in dem nach dem Vorbild erfolgreicher Pisa – Länder jedem Kind individuell das Höchstmaß an Förderung und damit das beste zu erzielende Ergebnis zuteil werden kann.

 

In diesem Zusammenhang sei auf ein Gutachten des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund (von Ernst Rösner, September 2004) hingewiesen, das im Bundesland Schleswig – Holstein seit Anfang November diskutiert wird: ein Bundesland, das gerne von uns hier als Referenzland zu Vergleichen auf verschiedenen Gebieten herangezogen wird.

Dieses Gutachten kommt zu dem Schluss, dass unter den gegebenen Umständen eines drastischen Schülerrückganges und eines gleichzeitigen sehr schlechten Abschneidens des Schleswig – Holsteinischen Bildungswesens bei den einschlägigen Untersuchungen (PISA, IGLU) die einzig vernünftige Lösung die Einführung einer Gemeinschaftsschule ist.

Einer Schulform, die alle Abschlüsse ermöglicht und die inhaltlich so strukturiert ist, dass jeder Schüler optimal gefördert werden kann.

 

Wohl gemerkt: hier geht es nicht um eine Einheitsschule. Nicht darum, alle über einen Kamm zu scheren und auf ein unteres Mittelmaß zurück zu holen. Hier geht es um eine inhaltlich ausgefeilte individuelle Bildung, die möglichst viele unserer Schüler zu einem möglichst hohen Schulabschluss befähigen soll.

 

Diese Art der Betrachtung sollte sich auch Brandenburg zu eigen machen.

 

 

Auf ein Detail des vorgelegten Gesetzesentwurfes der Koalitionsparteien muss hier noch gesondert eingegangen werden: das Wohnortprinzip für die Schulwahl der Oberschulen.

Im Prinzip ist die Idee verständlich: man will heterogene Schülerschaften, keine Schulen für die Guten Einerseits und „Restschulen“ andererseits.

 

Gleichzeitig wird damit aber die freie Schulwahl eingeschränkt, denn der nötige „besondere“ Grund für eine andere Schulwahl wird in der Realität nur dann akzeptiert werden, wenn es in die Schullandschaft passt.

 

Eines ist dabei besonders tiefgreifend: in den letzten Jahren hat sich der gewisse Konkurrenzdruck zwischen den Schulen als durchweg heilsam dafür erwiesen, innovative Wege durch Schulprogrammarbeit und Profilierung in die Schulen zu bringen und damit die inhaltliche Qualität des Unterrichts positiv zu befördern.

Alle Erfahrungen der Eltern in Brandenburg weisen darauf hin, dass ein Großteil  dieser Bemühungen von Schulen wieder im Sande verlaufen wird, wenn der „Konkurrenzdruck“ entfällt. Daher lehnen wir diese Form der Einschränkung der Wahlfreiheit ab.

 

 

 

Ermöglichen Sie mit Ihrer Entscheidung gegen die  Schulgesetznovelle in dieser Form eine inhaltliche qualitative Verbesserung!

Die Schulgesetznovelle darf nicht zur alleinigen Strukturdebatte verkümmern!