(Abschrift (Eingang 06.01.2005))
Günter Baaske
Fraktionsvorsitzender
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Datum: 23.12.2004
Schulstrukturgesetz

Sehr geehrter Herr Dr. Stiller,

vielen Dank für Ihre Stellungnahme zum Schulstrukturgesetz, das der Landtag nach gründlicher Prüfung und eingehender Beratung in Form der Beschlussempfehlung des Fachausschusses am 15.12.2004 beschlossen hat.

Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass der Wortlaut der im Schulgesetz vorgenommenen Änderungen sowie weitergehende Informationen zur Oberschule inzwischen über das Internetportal des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport abrufbar sind: http://www.mbjs.brandenburg.de/sixcms/detail.php?id=192598.

Das Schulstrukturgesetz eröffnet die Chance, zum Schuljahr 2005/2006 die Schulstruktur des Landes Brandenburg den demografischen Bedingungen besser als bisher anzupassen. Der Gesetzentwurf berücksichtigt die Empfehlungen der sehr kompetent besetzten Schulstandort-kommission unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Jürgen Baumert, Leiter des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin und langjähriger Vorsitzender des deutschen PISA-Konsortiums.
Die SPD-Landtagsfraktion begrüßt und unterstützt die Gesetzesinitiative deshalb grundsätzlich.

Die Mitglieder der Koalitionsfraktionen im Fachausschuss des Landtages haben aufgrund von Hinweisen aus der öffentlichen Anhörung am 18.11.2004, an der neben einer Vielzahl von Fachverbänden und Lehrergewerkschaften auch sämtliche schulischen Mitwirkungsgremien auf Landesebene beteiligt waren, in einigen Details des Gesetzentwurfs noch Änderungen vorgenommen und das Gesetz damit weiter qualifiziert. Der Anhörung voraus ging am 16.11.2004 ein Gespräch des Facharbeitskreises unserer Fraktion mit Vertretern des Landeselternrates zum Schulstrukturgesetz. Nach unserer Kenntnis führte der Landeselternrat im Vorfeld der Anhörung auch Gespräche mit den anderen Fraktionen des Landtags. Auch dies unterstreicht, dass Elternmeinungen keinesfalls als lästig empfunden, sondern sehr wohl erwünscht sind, gehört bzw. zur Kenntnis genommen werden.

Die Einführung einer die Realschulen und Gesamtschulen (ohne gymnasiale Oberstufe) ersetzenden Schulform im Land Brandenburg und die Schaftung einer übersichtlicheren Schulstruktur waren lange überfällig. Die politische und schulfachliche Diskussion dazu dauert nunmehr etwa fünf Jahre. Nach Einschätzung mancher Experten wird damit sogar ein Fehler der brandenburgischen Schulstruktur, der einem politischen Kompromiss der Regierungskoalition in der ersten Legislaturperiode geschuldet ist, bereinigt. Zumindest wäre mancher Streit um die Sicherung von Schulstandorten weniger Konflikt beladen gewesen, hätte sich die CDU bereits in der vergangenen Legislaturperiode unserem Vorschlag zur Vereinfachung der Schulstruktur durch Einführung der Sekundarschule, jetzt Oberschule, anschließen können.

Die zügige Verabschiedung des Schulstrukturgesetzes musste im Vorgriff auf die geplante umfassendere Reform und Schulgesetznovellierung in 2005 vorgenommen werden, um rechtzeitig vor dem Beginn des neuen Aufnahmeverfahrens für die weiterführenden Schulen im Frühjahr 2005 die neuen Grundlagen geschaffen und EItern, Schulleiter und Schulträger gut informiert und vorbereitet zu haben.

Die durch den Landtag mit dem Schulstrukturgesetz aktuell beschlossene Novellierung des Schulgesetzes bildet in dieser Legislaturperiode den Auftakt zu einer umfassenden Diskussion zur Reform des Schulgesetzes auf der Grundlage des mit den PISA-Studien ermittelten Reformbedarfs. Die SPD-Landtagsfraktion wird die Ergebnisse der aktuellen internationalen PISA-Studie im Rahmen ihrer Klausurtagung am 11. Januar 2005 auswerten. In Folge werden Eckpunkte für die Reform und die geplante Novellierung des Schulgesetzes entwickelt, die in der ersten Jahreshälfte 2005 unter breiter öffentlicher Beteiligung und insbesondere unter Beteiligung der Mitwirkungsgremien der Eltern, Schüler und Lehrkräfte diskutiert werden sollen. Die Zeit dafür will sich die SPD-Landtagsfraktion nehmen, um mit größtmöglicher öftentlicher Akzeptanz weitere Fortschritte in Richtung Qualitätsverbesserung von Schule und Unterricht in Brandenburg zu erreichen.

Zu Ihren Kritikpunkten im Einzelnen:

Unverändert gilt gemäß Artikel 30 Absatz 4 der Landesverfassung die bisherige Regelung des Schulgesetzes § 53 Abs. 1: Für die Aufnahme in eine weiterführende allgemein bildende Schule sind neben dem Wunsch der Eltern die Fähigkeiten, Leistungen und Neigungen (Eignung) der Schülerin oder des Schülers maßgebend. Die Eltern wählen durch einen Erstwunsch und einen Zweitwunsch je eine Schule, an der ihr Kind den gewünschten Bildungsgang belegen soll. Ist die gewählte Schule eine Oberschule, muss sie bis zur Erreichung der Kapazitätsgrenzen alle Schüler aufnehmen. Mit der Einführung einer Schulform mit zwei Bildungsgängen wird gerade das Wegbrechen schulischer Wahlmöglichkeiten zukünftig verhindert.

Mit der Verlagerung der Entscheidung über die Unterrichtsorganisation in die Schulkonferenz ermöglichen wir den Eltern eine stärkere Mitwirkung, den Schulen die Wahrnehmung ihrer Selbstverantwortung und eine größere Flexibilität der Schulorganisation. Die freie Wahl der Schule wird den Eltern damit gerade nicht genommen, sondern ihre Mitgestaltungsmöglichkeiten werden erweitert.

Die Oberschule ist eine Schule für alle Schüler der Region. Sie soll demnach keine Auswahl unter den Schüler treffen, sondern alle Schülerinnen und Schüler gemäß ihren individuellen Fähigkeiten, Leistungen und Neigungen fördern und fordern. Nur bei Übernachfrage und nicht ausreichenden Kapazitäten einer Oberschule greift nach dem neuen Gesetz nach dem Auswahlkriterium besonderer Härtefälle sowie das Wohnortprinzip, d.h. vorrangige Auswahl nach der Entfernung der Schule zum ständigen Wohnsitz des Schülers. Darüber hinaus können bei Übernachfrage im Umfang von bis zu 50 Prozent der Aufnahmekapazität Schülerinnen und Schüler vorrangig berücksichtigt werden, wenn ein besonderer Grund gemäß der Sekundarstufe I-Verordnung (z.B. Form der Unterrichtsorganisation, besonderes Schulprofil, Fremdsprachenangebot, Ganztagsschule etc.) vorliegt. Neben den gesetzlichen Vorgaben wird somit auch über die Regelungen der Sek-I-Verordnung gesichert, dass Eltern die freie Wahl der Schulform auch hinsichtlich der Form der Unterrichtsorganisation uneingeschränkt gewährleistet bleibt.

Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, steht die SPD einem einheitlichen integrativen Schulmodell aufgeschlossen gegenüber. Schließlich war es die SPD, die sich nach der Wende für die Einführung der Gesamtschule in Brandenburg und die sechsjährige gemeinsame Grundschule und deren dauerhafte Sicherung eingesetzt hat. Im Ergebnis wurde Brandenburg das Bundesland mit den relativ meisten Gesamtschulen und neben Berlin das einzige Bundesland mit einer sechsjährigen gemeinsamen Grundschulzeit. Auch die Regelungen des bisherigen Schulgesetzes (z.B. § 103 Abs. 4 oder § 105 Abs. 3), die Gesamtschulen die Rolle der Sicherung der schulischen Grundversorgung im Sinne eines gleichwertigen, regional ausgewogenen, zumutbar erreichbaren und öffentlich getragenen Angebotes schulischer Bildungsgänge zuschreibt und die Einrichtung gemeinsamer gymnasialer Oberstufen vorsieht, auf die das Modell der Stadt Fürstenwalde aufbaut, bauen auf politischen Entscheidungen der SPD auf. Nicht zuletzt können wir uns auch uns mit Blick auf die einheitlichen und integrativen Schulsysteme international führender Wirtschaftsstaaten und der PISA-Siegerländer günstigere Modelle der Schulstruktur vorstellen.

Die regionalen Konflikte um Schulstandorte in den vergangenen Jahren haben aber hinlänglich bewiesen, dass die Frage der öffentlichen Akzeptanz der Gesamtschulen, der Realschulen und nicht zuletzt der Gymnasien, gerade auch von Seiten der betroffenen Eltern, nicht ignoriert werden darf. Die Gespaltenheit der öffentlichen Meinung in dieser Frage lässt es in jedem Falle ratsam erscheinen, Schulstrukturfragen behutsam zu behandeln, nach politischen Kompromissen zu suchen, ideologische Festlegungen und obrigkeitsstaatliche Vorgaben, wie sie die PDS mit ihrem Schulgesetzentwurf vorsieht, zu vermeiden. Der von Ihnen beschriebene Kompromiss der Stadt Fürstenwalde ist nicht auf das gesamte Land Brandenburg übertragbar.

Gerade um dem Elternwillen stärkeres Gewicht zu verleihen, wollen wir die Entscheidung über die Form der Unterrichtsorganisation (kooperativ/integrativ oder Mischform) künftig der Schulkonferenz überlassen und damit den Eltern eine stärkere Mitwirkung, den Schulen die Wahrnehmung ihrer Selbstverantwortung und die Flexibilität der Schulorganisation ermöglichen. Die Schulkonferenzen haben nach diesem Gesetz nun die Möglichkeit, eine 8-jährige oder gar 10-jährige integrative "gemeinsame" Schulzeit zu beschließen. Eine frühzeitigere Selektierung der Schülerinnen und Schüler wird durch dieses Gesetz also gerade nicht vorgegeben.

Wir würden uns freuen, Ihnen mit unseren Informationen geholfen und einen optimistischeren Blick auf die Entwicklung des Brandenburgischen Schulwesens vermittelt zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Günter Baaske